Ob bei der Modellierung von Wettersystemen, der Identifizierung neuer Medikamente zur Behandlung von Krankheiten oder der Optimierung des Designs eines neuen Motors – Rechenmethoden unter Verwendung von Höchstleistungscomputern können Erkenntnisse und Vorhersagen liefern, die auf keine andere Weise zugänglich sind. Dennoch gibt es fast immer eine messbare Lücke zwischen Simulationsergebnissen und Realität. Die Verfügbarkeit von Daten, Modellierungsentscheidungen und Zufälligkeiten sind beispielsweise Faktoren, die die Simulationsergebnisse beeinflussen. Es hat sich sogar gezeigt, dass die mehrfache Ausführung desselben Algorithmus mit denselben Daten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Das Problem der Unsicherheit ist mit dem Aufkommen von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz noch problematischer geworden, weil solche sogenannte „Black-Box“-Technologien keine Hinweise darauf geben, wie ein Algorithmus zu seinem Ergebnis kommt. Das soll nicht heißen, dass Unsicherheit ein Mangel der Simulation ist. Vielmehr soll Unsicherheit als integraler Bestandteil des Prozesses verstanden werden, durch den Simulationsmethoden neues Wissen hervorbringen. Daher ist es wichtig, die Unsicherheit in Simulationen zu quantifizieren und ihre Auswirkungen zu berücksichtigen, wenn Simulationen für die Entscheidungsfindung verwendet werden.
03. Sept. 2025
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Disziplinen wie Wirtschaft, Politik, Philosophie und Naturwissenschaften haben alle eine lange Tradition, sich auf unterschiedliche Weise mit Unsicherheit auseinanderzusetzen. Eine Konferenz, die vom 28. bis 30. Juli 2025 im Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) stattfand, wollte auf dieses multidisziplinäre Fachwissen zurückgreifen und untersuchen, wie der Dialog zwischen Geistes-, Sozial- und Computerwissenschaftlern neues Licht auf das Konzept der Unsicherheit werfen könnte.
Diese Konferenz war die jüngste in der Reihe „The Science and Art of Simulation” (SAS25), einer jährlichen Tagung, die seit 2017 am HLRS stattfindet. Nico Formanek, der die Veranstaltung als Leiter der Abteilung für Philosophie der Computerwissenschaften am HLRS organisierte, erklärte, dass das Interesse an Unsicherheit aus dem HLRS-Forschungsprojekt „Modeling for Policy” hervorgegangen sei und in engem Zusammenhang mit anderen Aktivitäten des HPC-Zentrums stehe. „Die Philosophie hat eine lange Tradition im Umgang mit Unsicherheit und konzentriert sich dabei auf die Frage nach den logischen Grundlagen der Wahrscheinlichkeit”, sagte er. „Im Zusammenhang mit Simulationen hat dies auch praktische Relevanz, da es wichtig ist zu verstehen, wie Entscheidungen in Simulationspipelines zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und was in diesen Prozessen verbessert werden könnte.”
Für den Philosophen John Symons von der University of Kansas stellt künstliche Intelligenz ein erkenntnistheoretisches Problem für die Wissenschaft dar. Traditionelle wissenschaftliche Methoden haben in der Regel deterministische Modelle hervorgebracht, d. h. Modelle, bei denen gleiche Eingaben immer zu gleichen Ergebnissen führen. In einer Keynote zeigte Symons, warum es Simulationen – und insbesondere künstlicher Intelligenz – nicht möglich ist, Unsicherheit vollständig zu beseitigen. Stattdessen schlug er vor, dass die Wissenschaft lernen muss, probabilistische Denkansätze zu akzeptieren und zuverlässigere Methoden zur Validierung und Bewertung der Vertrauenswürdigkeit von KI-generiertem Wissen zu entwickeln.
Eine praktische Anwendung probabilistischer Modelle findet sich in der hydrologischen Modellierung, einem Ansatz zur Ermittlung der Anfälligkeit von Gemeinden für Überschwemmungen. Die Komplexität von Wetter, Geologie und Stadtentwicklung macht es jedoch unmöglich, die Auswirkungen eines bestimmten Sturms mit 100-prozentiger Genauigkeit vorherzusagen. In Vorträgen auf der SAS25-Konferenz erläuterten Anneli Guthke und Manuel Alvarez Chaves, Mitglieder des SimTech-Projekts der Universität Stuttgart, die Herausforderungen beim Verständnis der Unsicherheit in probabilistischen hydrologischen Modellen und Ansätze zur Verbesserung der Unsicherheitsquantifizierung. Die Weiterentwicklung solcher Ansätze könnte politischen Entscheidungsträger:innen und Bewohnern von hochwassergefährdeten Gebieten helfen, fundiertere Entscheidungen über Risiken und deren Management zu treffen.
In mehreren Vorträgen auf der Konferenz wurden mahnend Erkenntnisse darüber vermittelt, ob die Beseitigung von Unsicherheiten in Simulationen als erstrebenswertes Ziel angesehen werden sollte. In einem Keynote argumentierte der Ethiker Marcus Düwell von der Technischen Universität Darmstadt, dass Unsicherheit ein notwendiger Bestandteil des menschlichen Daseins sei. Eine übermäßige Abhängigkeit von Gewissheiten in Simulationen berge die Gefahr, die Individualität zu gefährden, was seiner Meinung nach auch das Funktionieren demokratischer Gesellschaften beeinträchtigen könnte.
Für Quanrong Gong, Philosophin an der Universität von Cincinnati, ist Unsicherheit auch ein notwendiges Element in der Zusammenarbeit und bei gemeinsamen Aktionen. Partner in solchen Beziehungen sind darauf angewiesen, dass andere Fähigkeiten einbringen, über die sie selbst nicht verfügen. Gong argumentierte, dass das Ausmaß dieser Fähigkeiten und ihre Kompatibilität zu Beginn solcher Kooperationen unklar sind. Das bringt eine Art von Unsicherheit, die zu unvorhergesehenen positiven Ergebnissen führen kann.
Ramon Alvarado von der Universität Oregon stellte ebenfalls die Frage, ob es sinnvoll ist, Unsicherheit vollständig zu beseitigen. Seiner Meinung nach könnte dieser Ansatz zu einem Rückgang von Zufallsfunden führen, die in der Geschichte der Wissenschaft oft zu revolutionären Entdeckungen geführt haben. Er befürchtet, dass solche Zufallsfunde in der künstlichen Intelligenz, die heute effizient plausible Antworten auf viele Fragen liefern kann, verloren gehen könnten. Was werden wir durch unsere zunehmende Abhängigkeit von KI vermissen, fragte er, und wie könnte der Faktor Serendipität in Zukunft darin eingebaut werden?
In einem dritten Keynote untersuchte Ben Recht, Experte für maschinelles Lernen an der University of California, Berkeley, genauer den Zusammenhang zwischen statistischen Methoden und ihrer praktischen Anwendung. Er vertrat die Ansicht, dass Statistiken nur durch ihre Integration in bürokratische Strukturen und Prozesse Bedeutung erlangen. Anhand von randomisierten klinischen Studien in der Medizin argumentierte er beispielsweise, dass „ex ante Policies“ statistische Regeln und Verfahren festlegen, die die Datenerhebung leiten und letztlich Einfluss darauf haben, wie diese analysiert und interpretiert wird. Ausgehend von dieser Prämisse schlug er neue Forschungsrichtungen für die statistische Methodik in der Politik vor.
Rechts Argumente sind ein Beispiel für die Erkenntnisse, die entstehen können, wenn sich Computerwissenschaften, Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften bei den HLRS-Konferenzen „Science and Art of Simulation“ treffen. Für Formanek steht diese Veranstaltung im Einklang mit dem Kern der Mission des HLRS, den Einfluss von Supercomputing in der öffentlichen Sphäre zu erhöhen: „Die SAS-Konferenzen tragen dazu bei, dass Simulationen, die auf unseren Computern laufen, verständlicher und für die Gesellschaft hilfreicher werden.“
Diese kurzen Zusammenfassungen sind nur eine Auswahl der vielfältigen Themen, die während der SAS25-Konferenz zum Thema Unsicherheit behandelt wurden. Die vollständigen Konferenzberichte werden in einem Buch zusammengefasst, das in Kürze im Springer Verlag erscheinen wird. Die Berichte früherer „Science and Art of Simulation”-Konferenzen können auf unserer Seite HLRS-Bücher eingesehen werden.
— Christopher Williams