Wenn Sterne zusammenstoßen

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Simulation einer Neutronenstern-Schwarzes-Loch-Koaleszenz, bei der der Neutronenstern während der Verschmelzung durch die Gezeiten zerrissen wird. Bildnachweis: T. Dietrich (Universität Potsdam und Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), N. Fischer, S. Ossokine, H. Pfeiffer (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), S.V.Chaurasia (Universität Stockholm), T. Vu

Mithilfe neuer Beobachtungsdaten von Gravitationswellen und elektromagnetischen Signaturen nutzen Forschende der Universität Potsdam Supercomputer, um die Verschmelzung von Neutronensternen zu verstehen.

Im Jahr 2015 feierten Astrophysiker, Astronomen und Astronomiebegeisterte eine spannende Entwicklung. Etwa 100 Jahre lang hatten Forschende Hypothesen über die Existenz von Gravitationswellen aufgestellt – Wellen der Schwerkraft in der Raumzeit, die von großen, gewaltigen Ereignissen im Kosmos wie Supernovas oder Neutronensternverschmelzungen verursacht werden – konnten ihre Existenz aber nie direkt beweisen.

Als das Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium (LIGO) in den Vereinigten Staaten ein eindeutiges Gravitationswellenereignis nachwies, bauten Forschende auf dieser Erkenntnis auf, um die astrophysikalische Forschung weiter voranzubringen.

„Seit 2015 haben wir etwa 100 Gravitationswellenereignisse gesehen. Diese Art der Forschung ist extrem neu und birgt ein enormes Potenzial für zusätzliche Erkenntnisse, die wir derzeit nicht anders erlangen können“, sagt Prof. Tim Dietrich, Forscher an der Universität Potsdam. Seitdem nutzen Dietrich und seine Forschungsgruppe Höchstleistungsrechner (High-Performance Computer, HPC), um kosmische Phänomene zu simulieren, die Gravitationswellen erzeugen. Das Team simuliert auf dem Supercomputer Hawk des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS), was passiert, wenn binäre Neutronensterne zusammenstoßen. In den vergangenen drei Jahren hat das Team bedeutende Fortschritte bei der Modellierung dieser komplexen Ereignisse erreicht. Die Simulationen auf Hawk haben zu mehr als einem Dutzend wissenschaftlicher Veröffentlichungen beigetragen, darunter Artikel in den führenden Fachzeitschriften Nature und Science

Aufeinandertreffen

Im Grunde sind Neutronensterne die fossilen Überreste von massereichen Sternen, die das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben. Wenn Sternen der Brennstoff ausgeht, beginnen sie zu kollabieren, bevor sich ihre äußeren Schichten in einer Supernova explosionsartig nach außen ausdehnen. Diese gewaltigen Ereignisse erzeugen Gravitationswellen und schleudern schwere Elemente und andere Materialien durch das Universum. Das verbleibende Material kühlt auf 1.000 Grad Celsius ab, verdichtet sich weiter und wird zu einem ultradichten Neutronenstern. (Der Name bezieht sich auf die Zusammensetzung des verbliebenen Materials, das nach einer Supernova zum Großteil aus schweren Neutronen besteht). Wenn zwei dieser Objekte zu nahe aneinander vorbeidriften, fusionieren sie aufgrund der starken Gravitationskraft und bilden einen viel größeren Neutronenstern oder es entsteht ein Schwarzes Loch.

Astrophysiker können die Zusammenschlüsse von Neutronensternen anhand ihrer Beobachtungssignaturen, wie etwa Gravitationswellen, nachweisen. Ergänzend zu diesen Methoden simulieren Wissenschaftler:innen diese Ereignisse auch mithilfe von Supercomputern. Dank Simulationen können sie grundlegend verstehen, wie diese Ereignisse Gravitationswellen und elektromagnetische Signale erzeugen und Materialien durch das Universum schleudern. 

Dazu benötigen Forschende ein zuverlässiges Modell, das die komplexen physikalischen Wechselwirkungen genau darstellen kann, die in diesen massiven Systemen auf zahlreichen Skalen entstehen. Das erfordert weltweit führende Supercomputer und selbst die leistungsfähigsten Maschinen können diese Ereignisse nicht vollständig nach Grundprinzipien simulieren. So musste die Forschungsgruppe um Dietrich Wege finden, um die Effizienz der Berechnungen zu verbessern, ohne dabei echte physikalische Zusammenhänge zu vernachlässigen.

Simulation zweier verschmelzender Neutronensterne

Simulation zweier verschmelzender Neutronensterne mit einer Masse von jeweils 1,35 Sonnenmassen. Von Rot nach Blau sind die zunehmenden Dichten dargestellt. Bildnachweis: T. Dietrich (Universität Potsdam und Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik).

 

Dank der realistischen Simulation von Neutronensternverschmelzungen kann das Team die Informationen der sogenannten „multi-messenger-physics“ miteinbeziehen. Wie der Name schon sagt, fassen „multi-messenger-physics“ Informationen zusammen, die mehrere physikalische Phänomene beschreiben. Dies ermöglicht ein umfassenderes Bild des Verhaltens von Materialien auf einer grundlegenden Ebene. Messungen von Merkmalen wie Photonen (Licht), einer geheimnisvollen Klasse von Elementarteilchen namens „Neutrinos“, hochenergetischer kosmischer Strahlung und Gravitationswellen liefern den Forschern wertvolle, detaillierte Informationen. Obwohl diese Informationen sowohl im kleinen als auch im großen Maßstab vorhanden sind, lassen sie sich kaum in eine einzige Simulation integrieren, die das gesamte System genau wiedergibt. „Wir müssen 5.000 Operationen für die Entwicklung eines einzigen Punktes in unserem Rechengitter durchführen“, sagt Anna Neuweiler, Doktorandin in Dietrichs Gruppe und Projektmitarbeiterin. „Natürlich besteht unser Gitter aus vielen Punkten, sodass wir selbst für nur eine zeitliche Entwicklung sehr viel Kapazität für die Berechnung und Lösung unserer Gleichungen benötigen.“

Mit Hawk konnte das Team einen Versuch einer genauen Simulation von Neutronensternverschmelzungen auf der Grundlage erster Prinzipien erreichen. Dies gelang, indem die Forschenden die Auflösung von Teilen der Simulation, die für die Forschung weniger relevant sind, selektiv verringerte. Darüber hinaus verglichen die Wissenschaftler:innen die Daten der „multi-messenger-physics“ in ihren Simulationen mit ergänzenden Schwerionenkollisionsexperimenten, die in speziellen experimentellen Einrichtungen auf der Erde durchgeführt werden. Dieser kombinierte Ansatz hat es dem Team ermöglicht, den Stand der Technik bei der Erforschung der Verschmelzung von binären Neutronenstarts voranzutreiben. Außerdem plant die Gruppe eine zuverlässige Anwendung zu entwickeln, die sie in den kommenden Jahren mithilfe weiterer physikalischer Berechnungen nach den Grundprinzipien verbessern möchte. Zwar hat das Team bereits größere Simulationen an anderen Systemen durchgeführt, doch der Zugang zu Hawk legte den Grundstein für ihren erfolgreichen Simulationsansatz.

„Ich kann nicht auf eine große Errungenschaft unserer Arbeit verweisen, denn diese Entwicklungen insgesamt zielen darauf ab, ein besseres Verständnis der physikalischen Zusammenhänge zu bekommen. Das bedeutet, dass auch Simulationen, die sich schrittweise entwickeln, immer noch notwendig sind und in Zukunft vielleicht sogar noch wichtiger werden. Es ist eher ein Marathon als ein Sprint“, so Dietrich.

Turbulenzen voraus

Nachdem das Team die Berechnungseffizienz seines Codes erfolgreich verbessert hat, möchte es nun noch mehr Details in die Simulationen einbeziehen. Anlässlich ihrer Doktorarbeit hat Neuweiler damit begonnen, Magnetfeldberechnungen nach den Grundprinzipien in den Code des Teams zu integrieren, wodurch die Rechenanforderungen erheblich steigen. „Um zu simulieren, was nach der Verschmelzung von Neutronensternen passiert, müssen wir vor allem die Rolle von Magnetfeldern verstehen. Das hilft uns dabei, die Ströme der Materie genauer zu beschreiben“, sagt sie. „Wir möchten eine genauere Beschreibung erhalten. Hierfür können wir zusätzliche Gleichungen und Variablen einsetzen, aber das wird deutlich rechenintensiver als das, was wir derzeit tun.“

Dietrich wies auch darauf hin, dass das Team in Zukunft genaue Beschreibungen von Turbulenzen auf den kleinsten Skalen ihrer Simulationen sowie Details über die Neutrinophysik einbeziehen möchte. Diese werden verfügbar, wenn Astrophysiker mehr über diese mysteriösen Teilchen erfahren. Die Forschenden freuen sich auch auf die nächste vorhergesagte Beobachtungsreihe zur Verschmelzung von binären Neutronenstarts im Frühjahr 2023 und eine weitere im Jahr 2026. Mit jedem neuen Ereignis wird das Team Zugang zu wertvollen Beobachtungsdaten erhalten, die es ihm ermöglichen, die Simulationen weiter zu verfeinern. „Es wird viele Fälle geben, in denen wir unsere Simulationen nutzen können, um die Zusammenhänge besser zu interpretieren. Dazu brauchen wir die Ressourcen für die Analyse der Computerdaten“, so Dietrich. „Eines ist also sicher – wir werden in Zukunft definitiv nicht nach weniger Rechenzeit fragen.“

-Eric Gedenk

Hawk wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über das Gauss Centre for Supercomputing (GCS) finanziert.