Medical Solution Center bringt Supercomputing in die Medizintechnikbranche

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Simulation und künstliche Intelligenz haben das Potenzial, die Entwicklung und Erprobung von elektronischen Instrumenten, chirurgischen Werkzeugen, Implantaten und Arzneimitteln in Baden-Württembergs dynamischer Medizintechnikgemeinschaft zu revolutionieren. Bild: Marcel Scholte, Unsplash.

CASE4Med wird Entwicklern und Herstellern von Medizinprodukten den Zugang zu Ressourcen für Simulation, Datenanalyse und künstliche Intelligenz erleichtern.

Baden-Württemberg weist eine große und wirtschaftlich starke medizintechnische Gemeinschaft auf. In Tuttlingen zum Beispiel stellen mehr als 300 Unternehmen, darunter viele kleine und mittelständische, hochwertige medizinische Implantate und Präzisionsinstrumente her. In Tübingen entwickelt ein Cluster von Biotechnologiefirmen neue Medikamente und Diagnostika basierend auf modernsten molekularen und genomischen Ansätzen. In Mannheim bauen Unternehmen Hightech-Maschinen, die in Labors, Arztpraxen und Krankenhäusern eingesetzt werden.

Im Vergleich zu anderen regional bedeutsamen Wirtschaftszweigen wie der Automobilindustrie hat die baden-württembergische Medizintechnikbranche von Simulationen, maschinellem Lernen oder künstlicher Intelligenz auf High-Performance-Computing-Systemen (HPC) bisher kaum Gebrauch gemacht. Es liegt jedoch auf der Hand, dass der Zugang zu mehr Rechenleistung das Potenzial hat, die Entwicklung neuer Produkte zu beschleunigen, ihre Leistungsfähigkeit zu validieren, Produktionsprozesse zu verbessern und Unternehmen bei der Erfüllung gesetzlicher Anforderungen zu unterstützen. 

Um diesen Möglichkeiten nachzugehen, hat das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) ein neues Medical Solution Center namens CASE4Med (Computer Aided Solution Engineering for Medical) ins Leben gerufen. Unterstützt durch eine Förderung des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst wird das HLRS über einen Zeitraum von fünf Jahren — in Kooperation mit dem Innovations- und Forschungszentrum Tuttlingen der Hochschule Furtwangen und der SICOS BW GmbH — ein Modell ausbauen, das es bereits in der Vergangenheit umgesetzt hat, um branchenspezifische HPC-Lösungen anzubieten. Im Rahmen des Medical Solution Centers werden das HLRS und seine Partner untersuchen, wie HPC den größten Nutzen für Unternehmen der Medizintechnik erbringen kann. 

Entwicklung einer gemeinsamen Vision für HPC in der Medizintechnik 

CASE4Med basiert auf einem Konzept, das erstmals im Jahr 2008 umgesetzt wurde, als das HLRS das Automotive Solution Center for Simulation mitbegründete. Diese gemeinnützige Organisation bringt Automobilhersteller, Softwareentwickler, Hardwarehersteller und andere Interessengruppen in einem vorwettbewerblichen Format zusammen, um neue Methoden zu entwickeln, die die Automobilentwicklung branchenweit verbessern. Das Modell der Solution Center wurde 2018 zudem mit der Gründung des Media Solution Center Baden-Württemberg angepasst, welches neue Formen künstlerischer Produktion ermöglicht, indem es Kultur- und Medienorganisationen aus ganz Europa mit den Supercomputing-Ressourcen und der Expertise des HLRS verbindet. 

Das neue Medical Solution Center CASE4Med wird ein Netzwerk aufbauen, das Akteur:innen der baden-württembergischen Medizintechnikgemeinschaft und Expert:innen für die Entwicklung IT-gestützter und datengesteuerter Ansätze für medizinische Anwendungen umfasst. Durch Zusammenkünfte und andere Aktivitäten werden die Teilnehmer:innen ermitteln, welche Arten von HPC-basierten Lösungen der Gemeinschaft am meisten nützen könnten und welche Ressourcen und Fähigkeiten erforderlich wären, um sie zu verwirklichen. Durch die Pflege von Kontakten und die Durchführung von Pilotprojekten, die relevante Anwendungen von Simulation, Datenanalyse und künstlicher Intelligenz demonstrieren, soll das Medical Solution Center stetig wachsen und bis zum Ende des Förderzeitraums zu einer sich selbst tragenden Mitgliedervereinigung werden. 

„Es ist ein Umdenken erforderlich, um von hardwareorientierten Denkweisen wegzukommen.“

Prof. Dr.-Ing. Martin Haimerl, wissenschaftlicher Leiter des Innovations- und Forschungszentrums Tuttlingen, hat eng mit der Medizintechnikgemeinschaft vor Ort zusammengearbeitet und sieht großes Potenzial im Medical Solution Center. „In der Medizintechnik ist der Einsatz von Simulation und High-Performance-Computing unüblich und muss systematisch aufgebaut werden“, erklärt er. „Es ist ein Umdenken erforderlich, weg von hardwareorientierten Denkweisen hin zu einer Offenheit und Vertrautheit mit dem Einsatz von Supercomputing, einschließlich maschinellem Lernen und datengesteuerten Ansätzen. Das kollaborative Netzwerk, das CASE4Med aufbauen will, könnte die Medizintechnik im ganzen Bundesstaat auf eine neue Ebene heben.“ 

Das Medical Solution Center wird auch von der Expertise von SICOS BW profitieren, einer von der Universität Stuttgart und dem Karlsruher Institut für Technologie mitbegründeten gemeinnützigen Organisation, die kleinen und mittelständischen Unternehmen den Zugang zu Hochleistungsrechnern erleichtert. „Wir freuen uns darauf, unsere Erfahrungen bei der Entwicklung von Solution Centern zu teilen. Der medizinische Bereich ist herausfordernd und zukunftsträchtig zugleich, und wir sehen bei den Unternehmen großes Potenzial für die gewinnbringende Nutzung von HPC und Data Analytics“, stellt Dr. Andreas Wierse, Geschäftsführer der SICOS BW GmbH, erfreut fest. 

Zahlreiche Einsatzmöglichkeiten für Simulation und Datenanalytik 

Wie in anderen technischen Bereichen könnte Simulation Unternehmen der Medizintechnik Werkzeuge an die Hand geben, die die Entwicklung und Prüfung neuer Produkte schneller und kostengünstiger machen. Simulationen könnten beispielsweise eingesetzt werden, um die Eignung von Materialien oder Komponenten für medizinische Instrumente und Implantate einzuschätzen. Sie könnte dazu beitragen, das Design von Elektronik- und Softwarekomponenten in medizinischen Instrumenten zu optimieren, die Effektivität der Produktion zu bewerten, Qualitätskontrollprozesse zu verbessern und die Lebensdauer der Geräte zu verlängern. In vielen Fällen könnten Simulationen vor der Herstellung und der klinischen Anwendung eingesetzt werden, wodurch die Kosten und Verzögerungen, die sich aus mehreren Produktions- und Testzyklen ergeben können, eingespart würden. 

Die Projektpartner wollen weiterhin neue Anwendungen der systematischen Datenerfassung und -analyse erforschen. Dies könnte zum Beispiel Einblicke in Produktions- oder Qualitätskontrollprozesse geben oder datengesteuerte Prozesse für die Entwicklung neuer Produkte oder Geschäftsmodelle unterstützen. Solche Methoden könnten die Art und Weise revolutionieren, wie medizinische Verfahren durchgeführt und kontrolliert werden. 

Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich von HPC könnte darin bestehen, Medizintechnikunternehmen bei der Erfüllung der Anforderungen der Medical Device Regulation (MDR) zu unterstützen. Bevor neue medizinische Geräte oder eine Behandlungsmethode bei Patienten eingesetzt werden können, müssen die Unternehmen nachweisen, dass sie sicher und wirksam sind – ein Prozess, der in der Regel kompliziert und kostspielig ist. Auch wenn Simulationen und andere datenbasierte Ansätze allein die Notwendigkeit tatsächlicher klinischer Studien wahrscheinlich nicht ersetzen können, so können sie doch dazu beitragen, frühzeitigere Erkenntnisse und bessere Beweise für die Qualität und den Nutzen eines medizinischen Produkts für Patienten zu liefern. 

HLRS-Direktor Prof.-Dr. Michael Resch begrüßte den Start des Medical Solution Centers CASE4Med: „Die Unterstützung der für die baden-württembergische Wirtschaft so wichtigen kleinen und mittelständischen Unternehmen ist seit der Gründung des HLRS ein wesentlicher Bestandteil seiner Aktivitäten. Wir freuen uns sehr über die Chance, uns in dieser für uns neuen Community stärker zu engagieren, zumal die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit neue Wege aufzeigen können, wie High-Performance Computing zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit beitragen kann.“

-- Christopher Williams

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Besuchen Sie die CASE4Med Webseite für weitere Informationen.

Eine Version dieses Artikels erschien ursprünglich in der Frühjahrsausgabe 2022 des InSiDE Magazine.