HPC, das atmet: Ein Interview mit Monika Wierse

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Bild: Dr. Monika Wierse.

Die Leiterin des Bereichs Methoden und Model-based System Engineering bei Porsche reflektiert die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Simulation und künstlicher Intelligenz in der Automobilentwicklung.

Schon vor der Gründung des Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) im Jahr 1996 war die Computersimulation ein wichtiges Werkzeug für die Fahrzeugentwicklung beim Automobilhersteller Porsche. Seitdem ist das Unternehmen ein enger Partner des HLRS und nutzt dessen Supercomputing-Ressourcen bis heute.

Die Mathematikerin Dr. Monika Wierse kam 2006 zu Porsche, nachdem sie zehn Jahre lang als Industrial Application Engineer und Managerin für den Supercomputerhersteller Cray am HLRS gearbeitet hatte. Derzeit ist sie beim Automobilhersteller für den Bereich Methoden und Model-based System Engineering zuständig. In dieser Funktion beaufsichtigt sie auch die Entwicklung neuer Techniken für simulative Produkttests im gesamten Unternehmen, einschließlich rechnergestützter, hybrider sowie experimenteller Methoden.

Diese Erfahrungen haben Wierse eine einzigartige Perspektive auf die Entwicklung des HLRS gegeben, insbesondere im Hinblick auf die Unterstützung industrieller Anwendungen des Hoch- und Höchstleistungsrechnens (HPC). In diesem Interview erklärt sie, wie Porsche HPC und künstliche Intelligenz (KI) für die Fahrzeugentwicklung einsetzt und reflektiert über die vielen Möglichkeiten, die die Computerressourcen des HLRS bieten.

Warum ist die Simulation für die Fahrzeugentwicklung bei Porsche so wichtig?

Bei Porsche ist die Simulation mehr und mehr die Basis der Fahrzeugentwicklung geworden. Es kommen z.B. immer mehr Steuergerätefunktionen (z. B. für assistiertes Fahren oder Connectivity) in Fahrzeuge und es ist wichtig, dass alle möglichen Konstellationen getestet werden. Die Herausforderung wird noch komplizierter, weil wir Autos nicht nur für Europa bauen, sondern auch für andere Länder, wo die Luftfeuchtigkeit, Temperaturen und Straßenverhältnisse sehr unterschiedlich sind. Es ist irre, was da alles getestet werden muss und deshalb nutzen wir die modernsten Simulationsmethoden. Wir können daher mit der Simulation ein umfassend „abgesichertes“, weil virtuell erprobtes Fahrzeug abliefern. Darüber hinaus können wir durch frühe Entscheidungen (z. B. Freigaben von Bauteilen) auf Basis der Simulation Entwicklungszeit gewinnen und Kosten sparen, da die Simulation Hardware in Form von Fahrzeugen, Prüfständen und realen Bauteilen ersetzen kann.

Visualization of air circulation in a car with open suroof.

Ein Gesamtfahrzeugmodell des Porsche Macan umfasst nicht nur die Strömung um und durch das Fahrzeug, sondern berechnet auch die Strömung im Inneren des Fahrzeugs bei geöffnetem Schiebedach. Damit ist es möglich, die aeroakustischen Eigenschaften des Schiebedachs und den Komfort der Insassen während der Fahrt virtuell zu evaluieren. Bild: Porsche.

Früher hatte Porsche im Vergleich zu heute wenige Baureihen. Mittlerweile gibt es nicht nur den 911er, sondern auch den Cayenne, den Panamera, den Taycan und noch weitere. Das heißt, es gab damals Peaks, wo wir viel Rechenpower brauchten und dann gab es ruhigere Zeiten, wo weniger gerechnet wurde. Heute ist es so, dass wir kontinuierlich viel Rechenzeit brauchen.

Porsche und das HLRS haben seit Jahren eine enge Kooperation. Was sind die Vorteile der Partnerschaft für Porsche?

Obwohl Porsche eigene Rechner im Haus hat, haben wir nichts in der Größenordnung, wie das, was das HLRS uns zur Verfügung stellt. Mit Aerodynamik sind wir schon mit mehreren tausend Cores auf Hawk unterwegs. Bei virtuellen Crashtests, in denen wir Fügetechniken modellieren müssen, ist die Skalierung allerdings ganz schwer. Was bei uns deswegen oft wichtiger ist, ist gar nicht die Skalierbarkeit, sondern der Durchsatz. Das heißt, die Rechenressourcen des HLRS bieten uns die Möglichkeit, viele kleinere Simulationen parallel laufenzulassen.

Aus dieser Perspektive ist es uns immer zum Vorteil gewesen, dass wir am HLRS so eine atmende Ressource haben. Einerseits hat das HLRS einen hochskalierenden Rechner, andererseits betreibt es auch Systeme mit unterschiedlichen Architekturen, inklusive Systeme mit GPUs (Graphic Processing Units) für künstliche Intelligenz.

Heute ist die Rede oft vom Thema Cloud-Computing, wobei man sich Ressourcen dann zieht, wenn sie gebraucht werden. Es hat nie einer so genannt, aber das haben wir mit dem HLRS schon lange gemacht. Wir haben eine direkte und sichere Anbindung , der Datentransfer ist weitgehend automatisiert. Wir haben schon alles gelöst und deswegen sage ich, unsere HPC-Cloud steht am HLRS.

Gibt es noch andere Dimensionen der Zusammenarbeit mit HLRS neben der Bereitstellung von Computerressourcen?

Obwohl wir schon vieles simulieren können, gibt es immer noch Lücken. Witterungseinflüsse oder die Auswirkungen von Verschmutzung, zum Beispiel, sind sehr wichtig für die Akzeptanz eines Fahrzeugs, aber schwierig zu modellieren. Deswegen finde ich es sehr gut, dass viele akademische Forschungsprojekte am HLRS laufen. Die Ergebnisse kommen uns irgendwann auch in einem kommerziellen Code zugute.

Porsche nutzt Simulationen in Untersuchungen des Wassermanagements in Fahrzeugen. Bilder: Porsche.

Simulation of water movement as car drives through puddle.

Wir haben auch immer wieder Industriepromotionen mit dem HLRS laufen, wo wir uns Simulationsthemen mit HPC-Bezug in der Fahrzeugentwicklung anschauen. Vor 6 Jahren, zum Beispiel, wollten wir das Wassermanagement besser verstehen. Wo läuft das Wasser im Fahrzeug überall hin, wenn man durch ein tieferes Tauchbecken fährt? Oder wird es nach dem Regen in den Kofferraum tropfen, wenn du die Kofferraumklappe hebst? Ein Kollege hier bei Porsche hat mit Unterstützung von Prof. Michael Resch und mit den Rechenressourcen des HLRS das Thema erforscht. Jetzt sind die Ergebnisse bei uns im Einsatz und wir können relativ früh in der Entwicklung Probleme erkennen. Die Kooperation hat uns schon einen ganzen Schritt weiter gebracht.

Kürzlich hat das HLRS seine Systeme mit Grafikprozessoren ausgestattet, um KI zu unterstützen. Wie nutzt Porsche diese neuen Ansätze?

Künstliche Intelligenz ist ein Riesenthema in der Methodenentwicklung von Porsche geworden. Beim HLRS rechnen wir zehntausende von Crash-Simulationen von einem Gesamtfahrzeug. Das ist großartig, aber bringt auch ein großes Problem mit sich: der Aufwand, sich die Tausenden von kleinen Bauteilen anzuschauen, um festzustellen, ob irgendwo ein Blech eingeknickt ist, wird immer größer. Da wollen wir jetzt KI einsetzen um dies einfacher zu machen.

Es gibt auch viele andere Anwendungen. Mit Hilfe von KI entwickeln wir zum Beispiel sogenannte Metamodelle, um Berechnungen schneller zu machen. Wir setzen KI auch an Prüfständen ein, um Fehler in Messungen früh zu erkennen. Zusätzlich können wir mit KI auch Situationen vermeiden, wo wir ein Fahrzeug auseinander bauen müssten, um einen Sensor anzubringen.

Solche Anwendungen sind nicht nur eine Frage der Datenanalytik, sondern wir brauchen auch viel IT-Unterstützung. Das HLRS kann uns auch bei diesen neuen Herausforderungen helfen.

Im Jahr 2021 feierte das HLRS sein 25-jähriges Bestehen. Wie hat sich das HLRS aus Ihrer Sicht im Laufe der Jahre verändert?

Das HLRS und Porsche haben gefühlt einen großen Technologiewandel mitgemacht. Bevor ich bei Cray anfing, war der Fokus von Höchstleistungsrechnern ganz klar bei Vektor-Architekturen. Als die Cray T3E kam, hatten wir plötzlich deutlich mehr Mikroprozessoren und es wurde wichtig, dass man in Bezug auf Latenz und Bandbreite ein leistungsfähiges Netzwerk hat. Das bedeutete auch, dass die ganzen Simulationscodes umgestellt werden mussten. Solche Themen wie Skalierbarkeit und Leistungsoptimierung bleiben immer noch bei Hawk wichtig.

Ingenieur:innen von Porsche nutzen Simulation auch zur Optimierung der Aerodynamik von Autos. Bild: Porsche

Visualization of airflow around a moving car.

Die Verfügbarkeit von kommerziellen Codes ist auch für Porsche immer ein Thema gewesen. Da die Supercomputer nicht immer für alle bei Porsche relevanten Simulationscodes geeignet sind, hat das HLRS im Laufe der Zeit zunehmend auch Standard Cluster aufgebaut und Porsche für die Nutzung bereitgestellt. Damit haben wir inzwischen neben dem hochskalierenden Rechner auch normale Cluster in ausreichender Stückzahl zur Verfügung. Auch hier hat das HLRS reagiert, um unsere Bedarfe decken zu können.

Seit meiner Zeit bei Cray ist das HLRS in seinen Rechenressourcen sehr gewachsen. Die Anbindung, Firewalls, und Netzwerkbandbreite mussten auch alle mitwachsen. Auch die kleineren Cluster sind parallel mit dem Superrechner hochgezogen worden. Ich bin begeistert, welch tolle Kooperation Porsche zusammen mit dem HLRS in diesen 25 Jahren aufgebaut hat und bin jeden Tag aufs Neue gespannt zu sehen, welche Simulationsmöglichkeiten HPC und KI uns noch eröffnen werden.

Interview von Christopher Williams