Neue 2D-Materialklasse mithilfe von Hawk erforscht

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Semitransparente Struktur von Germaniummanganoxid (GeMnO3), einem der neu entdeckten 2D-Materialien, überlagert mit seiner magnetischen Oberflächenstruktur. Das Farbmuster hebt Regionen in der Nähe der magnetischen Ionen hervor, in denen die Magnetisierung aus der Ebene heraus (rot) oder in die Ebene hinein (blau) zeigt. Diese starke räumliche Variation der magnetischen Information könnte z. B. bei Datenspeicheranwendungen eine entscheidende Rolle spielen. Bild: Rico Friedrich, HZDR.

Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf nutzen Höchstleistungsrechner, um Graphen-ähnliche Materialien für elektronische und katalytische Anwendungen zu ermitteln.

Im Jahr 2004 veröffentlichten Forscher der Universität Manchester eine Methode für die Herstellung von Graphen, eine ein Atom dicke Schicht aus Kohlenstoffatomen, die in einem hexagonalen Muster angeordnet sind. Die Wissenschaftler zeigten, dass Graphen aus Graphit in ultradünne Schichten abgeschält werden kann.

Dieses zweidimensionale (2D) Nanomaterial ist besonders, da es sehr stabil, flexibel, transparent und leitfähig ist – Eigenschaften, die es zu einem geeigneten Werkstoff für die Entwicklung neuer elektronischer Geräte und anderer Produkte macht.

Seither haben sich Materialwissenschaftler:innen nicht nur mit Graphen beschäftigt, sondern auch nach weiteren 2D-Materialien geforscht, die die Eigenschaften von Graphen unter verschiedenen Temperatur-, Druck- oder Umweltbedingungen erweitern könnten. Dabei liegt der Schwerpunkt auf 2D-Systemen – strukturellen Einheiten von Massenmaterialien, deren Schichten von schwachen Kräften zusammengehalten werden, z.B. Graphen/Grafit. Nun stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es 2D-Materialien gibt, die keine schichtförmigen Strukturen in der Masse haben. Erste Versuche dazu waren erfolgreich.

Zu diesem Zweck nutzen Forscher unter der Leitung von Dr. Rico Friedrich und Dr. Arkady Krasheninnikov am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) die Ressourcen des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS), um mögliche neue 2D-Materialien zu identifizieren.

„2D-Materialien sind aus prinzipieller Sicht interessant für Anwendungen, etwa in der zukünftigen Informationstechnologie oder bei nanoskaligen Grenzflächensystemen“, sagt Dr. Rico Friedrich, HZDR-Forscher und Projektleiter. „Diese sogenannten „Non-van-der-Waals-2D-Systeme“ sind eine faszinierende neue Forschungsrichtung, für die es bisher nur sehr wenige Vertreter gibt. Es gab keine soliden, datengestützten, theoretischen Berechnungen, um neue Kandidaten zu finden. Deshalb haben wir uns darauf konzentriert, Materialien zu finden, die diese Eigenschaften aufweisen." 

Mithilfe des Supercomputers Hawk (HLRS) hat das Team kürzlich vielversprechende Kandidaten für 2D-Materialien gefunden. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Advanced Electronic Materials veröffentlicht.

„Suchet und ihr werdet finden“

Mit Graphen wurde zwar eine neue Ära fortschrittlicher Materialien eingeläutet, doch es gibt Einschränkungen. Es gilt als „Van-der-Waals-Material“, denn die in 1-Atom-dicken Schichten angeordneten Kohlenstoffatome bilden schwache, nicht-chemische Bindungen aufgrund der „Van-der-Waals-Kräfte“ zwischen den Schichten. Die Bindung ist so schwach, dass eine Schicht des Graphens mittels vorsichtigen Abziehens mit Klebeband von dem Grafit (wie das von Bleistiften) entfernt werden kann. Während es in kleinem Maßstab einfach zu extrahieren ist, erschwert die spröde Materialeigenschaft die Herstellung in großen Massen.

Auch wenn die Organisation auf atomarer Ebene Graphen seine unverwechselbaren Eigenschaften verleiht, ist sie zugleich eine Herausforderung für die industrielle Herstellung. Für die Entwicklung geeigneter, komplementärer 2D-Materialien für verschiedene Umgebungen müssen Forschende neue Verbindungen finden, die ähnliche Eigenschaften in zwei Dimensionen aufweisen, auch wenn deren atomare Strukturen nicht so einheitlich sind.

Diese Aufgabe erweist sich als schwierig: Dr. Friedrich verweist auf die AFLOW-Materialdatenbank, einer der größten Materialkataloge der Welt mit 3,5 Millionen Einträgen. Um brauchbare Alternativen zu Graphen zu finden, durchsuchen die Forscher alle Werkstoffeinträge nach Korrelationen und Mustern in ihren Eigenschaften, die sich zur Entwicklung von „Non-van-der-Waals“-2D-Materialien nutzen lassen. Sobald ein potenzieller Werkstoff identifiziert wird, lässt sich dessen Verhalten unter verschiedenen Bedingungen rechnerisch modellieren. Dadurch wird festgestellt, ob das gefundene Material bei der Nutzung die gewünschten Eigenschaften aufweist.

Wenn manche Materialien an einem Substrat befestigt werden, weisen sie ein ähnliches Verhalten wie Graphen auf. Bei der Entfernung vom Substrat brechen sie allerdings auseinander. Andere Funde weisen dafür nur in begrenzten Temperatur- oder Druckbereichen die gewünschten Eigenschaften auf. Mithilfe von Höchstleistungsrechnern wie Hawk können Forscher wie Dr. Friedrich Millionen von Materialien effizient durchsuchen und die Eigenschaften schnell prüfen.

„Man muss einen riesigen Raum untersuchen, um herauszufinden, welche Materialien diese Eigenschaften in 2D aufweisen“, so Dr. Friedrich. „Das geht nur mit hoher Durchsatzleistung. Nachdem die Material-Kandidaten identifiziert wurden, müssen ihre energetischen und dynamischen Eigenschaften untersucht werden. Solche Eigenschaften wirken sich darauf aus, wie leicht 2D-Schichten aus einem Massenmaterial extrahiert werden können. Die Informationen sind notwendig, um sicherzustellen, dass die Schichten bei Umgebungstemperatur stabil bleiben. Hawk ist für diese Aufgabe besonders gut geeignet, denn er ist sehr effizient und stabil. So hilft er uns dabei, schnelle Ergebnisse für einzelne Kandidaten zu erhalten – das ist wie ein interaktiver Prozess in Echtzeit.“

In den Jahren 2021 und 2022 durchsuchte das Team mithilfe von Hawk die AFLOW-Materialdatenbank nach möglichen Oxidmaterialien und fand 28 mögliche Kandidaten für weitere Untersuchungen.

Bei einer Anfang 2023 veröffentlichten Arbeit wurde die Suche über den Bereich der Oxide hinaus auf andere Materialbereiche wie Sulfide und Chloride ausgeweitet. Es wurden Materialien mit einer extrem niedrigen „exfoliation energy“ gesucht, da diese sich am leichtesten aus der Masse in 2D-Schichten trennen lassen. Während der Forschungsarbeiten wurde auch die Stabilität der Materialien unter verschiedenen Temperaturbedingungen eingehend geprüft. Die Forschenden fanden zwei chemische Verbindungen, SbTlO3 und MnNaCl3, die eine extrem niedrige „exfoliation energy” aufweisen. Diese Verbindungen könnten für die nächste Generation elektronischer Materialien genutzt werden, denn ihre Eigenschaften sind vielversprechend für die Informationstechnologie, die Datenspeicherung, fortschrittliche funktionelle Strukturen und magnetische Anwendungen.

Friedrich wies darauf hin, dass sich dieser Ansatz noch in der ersten Phase befindet und HPC dem Team wesentlich bei der Suche nach neuen 2D-Materialien helfen wird. „Der HPC-Zugang ist für das Screening der Kandidaten und die Untersuchung ihrer Eigenschaften unerlässlich. Wir wollen die Suche nach solchen Systemen in Zukunft umfassend verallgemeinern, was wahrscheinlich Tausende von Material-Kandidaten ergeben wird, die sich nur mit HPC untersuchen lassen“, sagte er.

Spitzenforschung erfordert erstklassiges Fachwissen

Mit dieser Methode plant das Team, die Suche auszuweiten. Friedrich wurde kürzlich zum Leiter einer DRESDEN-Concept Research Group ernannt und möchte in den kommenden fünf Jahren alle möglichen neuen 2D-Materialien vollständig katalogisieren. Vermutlich handelt es sich um Tausende von Verbindungen. Außerdem werden die chemische Funktionalität und molekulare Grenzflächen dieser Materialien daraufhin untersucht, inwieweit sich die Materialien für zukünftige elektronische Anwendungen nutzen ließen.

Sobald das Team über einen ausreichenden Katalog von Kandidaten verfügt, plant Friedrich eine enge Zusammenarbeit mit HPC-Expert:innen, um spezielle maschinelle Lernmodelle zu trainieren. Diese könnten den Forschenden dabei helfen, schnell ähnliche Merkmale in unterschiedlichen Materialklassen zu finden und so die Suche nach relevanten 2D-Verbindungen zu beschleunigen. Außerdem merkte er an, dass die Entwicklung dieser komplexen Berechnungsabläufe für Wissenschaftler wie ihn nur dank der Zusammenarbeit mit HPC-Zentren möglich ist.

„Es gab eine Zeit, in der es so aussah, als müsste jede Gruppe in der Computerchemie und -physik ihre eigenen Cluster verwalten. Heute ist es ein großer Vorteil, mit HPC-Zentren zusammenzuarbeiten, die über ein hohes Maß an Fachwissen verfügen und Workshops sowie Tutorien anbieten“, sagte er. „Einer meiner früheren Vorgesetzten hat einmal erklärt, dass HPC wie das Fahren eines Formel-1-Wagens ist: einen Formel-1-Wagen in Bewegung zu setzen ist nicht so schwer. Die Herausforderung kommt erst, wenn er seine maximale Effizienz erreicht. So ist es auch mit der rechnergestützten Forschung: Als Wissenschaftler haben wir Ideen über Materialien, aber um sie auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zu untersuchen, brauchen wir das Fachwissen aus HPC-Zentren und die Integration der Hardware-Infrastruktur ist entscheidend.“

Eric Gedenk

Dieser Artikel wurde in der Frühjahrsausgabe 2023 der InSiDE Magazine veröffentlicht.

Publikation

Baronwsky T, Krasheninnikov A, Friedrich R. 2023. A new group of 2D non-van der Waals materials with ultra low exfoliation energies. Adv Electron Materials. 202201112.

Hawk wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über das Gauss Centre for Supercomputing (GCS) finanziert.